Über das Setzen von Grenzen

Warum dein „Nein“ so wichtig ist und du es auch liebevoll halten kannst. Denn Grenzen halten geht auch bindungs – und bedürfnisorientiert – versprochen!

Der schlechte Ruf des NEINS!


Nein hat einen schlechten Ruf. Ich nehme wahr, dass viele Eltern gerne das Nein vermeiden, möchten. Und vielleicht ist das auch gar nicht so verwunderlich. Wir wünschen uns vermehrt eine Beziehung auf Augenhöhe zu unseren Kindern. Eine Beziehung, in der Schuld, Scham und Alarm/ Angst keine Rolle spielen sollen. Und das vollkommen zu recht.

Der Blick in die eigene Kindheit

Es ist nämlich sehr gut möglich, dass du das „Nein“ deiner Eltern und Bezugsperson oft als einen Abbruch der Bindung erlebt hast. Dass das „Nein“ nicht liebevoll kam. Sondern, dass dir mit dem Nein auch die Botschaft entgegen kam, dass du zu frech, zu fordernd und unverschämt, zu sonstwas warst. Und so hast du das Nein deiner Eltern als etwas erlebt, dass die Beziehung belastet und euch voneinander entfernt.

Und dann die großen Gefühle

Dazu kommt noch, dass ein NEIN natürlich Emotionen hervorrufen kann. Wut, Frustration, Traurigkeit können da sein. Als Kind hast du dann vielleicht Ärger bekommen, dass du dieses Gefühl ausgedrückt hast. Und somit war das Nein an viele negative Erfahrungen gekoppelt:
1. Was ich will, klappt so nicht

2. Die Bindung zu meiner Bezugsperson wird unterbrochen

3. Die aufkommenden Gefühle darf ich nicht zeigen

Kein Wunder also, dass du deinem Kind diese negativen Folgen ersparen möchtest. Und gewiss sehen wir als Eltern unsere Kinder so viel lieber fröhlich strahlend als voller Wut und Traurigkeit.

Aber das kann ein Problem sein. Denn Gefühle gehören zum Leben dazu und es ist nicht unsere Aufgabe als Eltern, unsere Kinder vor Gefühlen zu beschützen. Vielmehr geht es darum, den Umgang mit Gefühlen zu erlernen und unser Kind darin zu unterstützen, eine liebevolle Beziehung zu sich selbst aufzubauen. Das Unterdrücken von Gefühlen gehört da gewiss nicht zu.

Wir müssen nicht „nein“ um des „Nein“ willens sagen. Aber: Dort, wo in unserem Alltag Grenzen auftauchen, auch im zwischenmenschlichen Bereich, darf das „Nein“ sein. Auch, und ich persönlich würde sogar sagen GERADE, wenn du bedürfnis-und beziehungsorientiert dein*e Kind*er begleiten möchtest. Das Leben hält (mehr als) genug natürliche, echte Grenzen bereit, die wir für unser Kind halten dürfen. Und das ist nichts, was gegen dein Kind ist. Im Gegenteil.

FÜR unser Kind?

Ja, tatsächlich ist für mich ein „Nein“, dass für eine echte Grenze steht, für unser Kind. Denn wenn es dir gelingt das Nein liebevoll zu halten (und ich beschreibe dir gleich, wie das gelingen kann), dann wird das Nein dein Kind resilienter, anpassungsfähiger, kreativer und empathischer machen.

Das Nein wird…

  1. deinem Kind zeigen, dass nicht immer alles so klappt, wie es sich das wünscht und dass das zum Leben dazu gehört (und er/sie das aushalten kann)
  2. die Bindung zu dir stärken
  3. helfen, die aufkommenden Gefühle zu spüren und angemessen auszudrücken

Und darüber hinaus, in einem größeren Kontext:

  • fördert die Erfahrung, dass ich es aushalte, wenn nicht alles so läuft, wie ich das möchte, die sog. Resilienz (die seelische Widerstandskraft), Kreativität (weil ich mich auf neue Umstände einlassen kann), einen liebevollen Umgang mit den eigenen Gefühlen und das so wichtige Gefühl, in der Beziehung Halt zu finden und gut aufgehoben zu sein.

Bevor wir uns das im Einzelnen noch genauer anschauen, möchte ich mit dir teilen, was für mich als Mutter das Nein sagen endlich leicht und selbstverständlich gemacht hat.

Bindungsstark Nein sagen. So klappt’s.

Finde heraus, was (deine) Grenzen sind: Grenzen, die echt sind, können im zwischenmenschlichen Bereich sehr verschieden sein. Während wir uns leicht einig werden können, dass wir ein Kind nicht auf eine befahrbare Straße laufen lassen, dass er/sie nicht aus dem Weinglas trinken darf, haben wir vermutlich weniger schnell einen gemeinsamen Nenner, wenn es um Süßigkeiten vorm Abendbrot geht. Über Schlafenszeiten, bestimmte Verhaltens-Regeln oder Medien-Zeiten.

Wir dürfen verscheiden sein.

Und das ist auch total in Ordnung. Wir dürfen verschieden sein. Es ist doch irgendwie schön, dass es bei Familie Müller andere Regeln und Rituale, Grenzen und Gewohnheiten gibt als bei Familie Schulze. Und du musst deine Grenzen nicht anpassen, nur weil es bei anderen anders läuft. Dein Kind hat weniger Medienzeit als die Freund*innen im Kita? Macht nichts, solange du weißt, warum das so ist oder du deinem Bauchgefühl vertraust, kennst du deine Grenzen.

Kenne den Unterschied zwischen Verhandlungsspielraum und einer Grenze.

Aber sei dir klar, in welchen Bereichen du noch nicht klar bist (vielleicht ist der Keks vorm Essen doch nicht so schlimm für dich?) und in welchen Bereichen du klar weißt, hier ist eigentlich ein Nein fällig, auch wenn du Bedenken hast, es zu halten. Vielleicht, weil du selbst innerlich unklar bist. Vielleicht auch, obwohl du klar bist, du aber vermutest, dass dein Nein einen intensiven Gefühlssturm auslösen würde, den du ihm/ihr oder vielleicht auch dir selbst in diesem Moment nicht zumuten möchtest. Mal ist das auch okay. Ein Problem wird es werden, wenn das regelmäßig passiert. Das liegt daran, dass du nicht verhindern können wirst, dass dein Kind mit Grenzen und „Nein“ konfrontiert werden wird. Je weniger dein Kind das kennt, umso verstörtender ist diese Erfahrung für dein Kind.

Verhandlungsspielraum

Dort, wo du noch hin – un der gerissen bist, ob du nun „Ja“ oder „Nein!“ sagen möchtest, ist es nicht sonderlich gut, erst Nein zu sagen und dich dann durch dein Kind umstimmen zu lassen. Falls du das tun möchtest, kannst du es mit einem „Okay, ich sehe, wie wichtig dir das ist. Deswegen erlaube ich es“ ab und an überbrücken. Einfacher finde ich es aber direkt zu sagen, dass du kurze Bedenkzeit brauchst. Dann kannst du direkt antworten, nachdem du für dich Klarheit gewonnen hast.

Tipps fürs bindungsstarke Nein sagen. Liebevoll die Grenze halten, Gefühle zulassen und begleiten, keine Grenzen "erfinden".

Dein klares Nein halten

Auch wenn du dein Kind bindungs – und bedürfnisorientiert begleiten möchtest, darfst du Nein sagen. Auch wenn ich mich wiederhole: Es geht nicht darum dass du Grenzen ausdenkst und erschaffst, um Frustration aktiv auszulösen und zu üben. Aber es geht durchaus darum, dass Grenzen, die da sind, weil du bestimmte Werte und Grenzen hast oder diese im Miteinander mit anderen oder Räumen und Gegenständen (dir oder anderen euch wichtigen Menschen) wichtig sind, auch hältst.

Das JA zur Frustration

Das Wunderbare: Du kannst die Frustration, die in deinem Kind nun aufsteigt, anerkennen und begrüßen. Es ist frustrierend, wenn man etwas möchte und das so nichts wird. JA! Das ist frustrierend!

Gefühle wollen ausgedrückt werden

Und wenn es dir dann noch gelingt zu sagen: „Ja, das ist frustrierend! Ich sehe das! Und JA, die Frustration muss raus!“ (Lass uns Wege finden, die dir gut tun und niemandem schaden), bist du dabei bindungsstark zu begleiten, was ein Nein auslösen kann. Somit wird das, was du vielleicht noch von früher kennst, zu einer anderen Erfahrung, die durchaus auch positive Seiten hat. Und so schwer es sein mag, in einer intensiven und akuten Situation, angemessene Wege für die Frustration zu finden, wirst du mit der Zeit Strategien haben, um vielleicht bevor alles so intensiv ist, Ausdruck zu ermöglichen. Und gefunden haben, was dein Kind braucht, um Frustration rauszulassen.

„Hüterin der Vergeblichkeit“ und „Gebende des Trostes“

Hinter der Frustration kommt oft die Traurigkeit. Wenn wir mit Vergeblichkeit konfrontiert werden, wenn der Weg, den wir gehen wollten, versperrt ist und die Frustration gefühlt werden durfte, ist Traurigkeit meist ein nahe gelegenes Gefühl.
Als Eltern haben wir oft Respekt oder Angst vor der Traurigkeit. Ein Bild dazu:

ein roter Luftballon fliegt in den  Himmel. Darüber steht in weißer Schrift: Don't lose Hope

Fliegt der Luftballon weg, kaufen wir vielleicht schnell einen neuen. Dabei wäre es oft einfach Zeit, inne zu halten, traurig zu sein. In das Gefühl hinein zu gehen und die Trauer in Begleitung eines liebevollen Erwachsenen zu spüren. Wir können gleichzeitig die Vergeblichkeit hoch halten (Der Ballon ist weg geflogen. Nein, es gibt keinen neuen) und eine wunderbare, empathische Trösterin sein: Ich verstehe, dass du so traurig bist. das war ein so schöner Ballon und jetzt ist es weg“, mit emphatischer Stimme.

Und ja, ich weiß, dass das manches Mal Zeit braucht, wenn Kinder ihre Gefühle spüren und ausdrücken dürfen. Ich weiß, dass das anstrengend sein kann und viel Energie und Nerven kostet. Und das noch anderes auf der Agenda steht. Aber je öfter es uns gelingt, ein Nein zu halten und die Gefühle zu begleiten, umso leichter wird unser Kind später seine/ihre Gefühle erleben können. Zugang haben zum eigenen Innenleben. Ausdrücken können, was ist. Und damit einen echt wertvollen Schritt zur psychischen Gesundheit und Ausgeglichenheit im Leben parat haben. Was für ein Geschenk!

Gemischte Gefühle im Blick haben:

Einen guten Umgang mit Frustration zu bekommen und Vergeblichkeit spüren zu können, ist eine echte Gewaltprävention. Denn Frustration, die keinen sozial-verträglichen Output findet, kommt häufig in Wut und Aggressionen daher. (Oder bleibt in der Unterdrückung, was irgendwann zu abgeflachten Emotionen führen kann)

Bei kleineren Kindern (mindestens bis zum Beginn der Grundschulzeit) sind wütende Ausbrüche der intensiven Gefühle zu erwarten. Das liegt auch daran, dass sie in ihrer Gehirnentwicklung noch die Fähigkeit für das Mischen von Gefühlen, erwerben müssen. Deswegen ist es kein Wunder, dass jüngere Kinder schnell intensiv reagieren. Sie haben einfach noch nicht die Strukturen entwickelt, um das anders zu lösen.

Von Hutschnüren, die reißen und Palmen

Gemischte Gefühle kennst du bestimmt. Vielleicht platzt dir die Hutschnur und du hast den Eindruck, dass das Verhalten deines Kindes dich auf die Palme bringt. Nach außen, versuchst du aber ruhig zu bleiben. Schließlich hast du dein Kind sehr lieb und du möchtest es nicht anschreien. Oder ihr seid gerade in der Öffentlichkeit und du möchtest nicht von deinen Mitmenschen negativ bewertet werden. Dann kann dieses Gefühl dein Verhalten sozial verträglich anpassen. (Ja, das kann auch zu viel werden und ein Problem für sich sein, es ist kompliziert) Im Grunde aber ist diese Mischung der widerstreitenden Gefühle, ein Zeichen von Reife-Entwickung. Du kannst das begleiten und anbahnen, in dem du solche Momente in Worte fasst: „Ein Teil von dir ist traurig, dass wir nach Hause müssen, aber ein anderer Teil freut sich schon auf dein Lieblingsspielzeug.“

Warum das der Bindung dient

Wenn du kein Nein setzt, keine Grenzen kennst, wenn du versuchst, dich selbst und deine eigenen Grenzen permanent für dein Kind zu übergehen, schadet das leicht eurer Bindung. Natürlich hast du im Akutfall erst einmal weniger Konflikte, weil dein Kind seinen Willen durchsetzen kann. Das spart akut Frustration. Aber was ist der Preis dafür? Eure Beziehungsdynamik wird sich verändern. Nicht zum Besseren.

Exkurs: Was du über Bindung wissen musst

Ich weiß, dass das jetzt irgendwie uncool klingt, aber: Bindung ist hierarchisch. Das bedeutet, dass Bindung uns einen Raum gibt, in dem wir uns umeinander kümmern können. In dem wir es annehmen können, verletzlich und abhängig zu sein, was ja erst einmal nicht unbedingt ein schöner Zustand ist, weil die Bindung stark genug ist. Oder indem wir eine so große Verantwortung wie das Mama-Sein annehmen können, weil wir so fürsorglich für unser Kind da sein wollen.

Partnerschaftliche Beziehungen und Freundschaften haben in der Regel eine wechselnde Hierarchie. Also: Mal hörst du zu und bist die Schulter zum Anlehnen, mal kannst du deine Gefühle zeigen und dich umsorgt und verstanden fühlen. Mal bringst du deinem Partner deiner Partnerin den Tee. Mal umgekehrt. Eine Beziehung in der beide die selbe „Rolle“ in der Bindungshierachie zur selben Zeit einnehmen würden, wird stellenweise massive Probleme mit sich bringen.

Ohne Nein, kippt die Hierachie

Wenn es nun kein Nein gibt und auch deine persönliche Grenzen komplett vom Kind bestimmt werden können („Mach dies! Mach das! Nein, so ist es falsch, mach das anders, Mama!“), dann übernimmt dein Kind sozusagen die Chef*in-Rolle. Die Bindungshierachie kippt. Und auch, wenn wir Hierarchien gerne überkommen wollen, so heißt die Variante des Sich-Umsorgt-Fühlens: Deine Sorgen sind meine Sorgen. Ich bin für dich da.

Wenn dieses Grundgefühl geht, dann geht auch das wohlige Grund-Vertrauen ins Umsorgt – Werden. Das macht es schwer, die Mama oder der Papa zu sein und einen positiven Einfluß auf die Entwicklung und in der Begleitung deines Kindes zu nehmen.

Dein Kind als Chef*in

Und die Folgen? Wenn dein Kind in der Bindungshierachie die Verantwortung für dich und eure Beziehung übernimmt, weil du diesen Platz frei lässt, wird dein Kind notgedrungen in die Rolle als Chef*in reingehen. Damit verliert es aber das gut umsorgt werden können. Damit gibt es eine tiefgreifende Verunsicherung. Und damit einhergehend? Wird dein Kind noch mehr die verlorene Sicherheit im eigenen „Bestimmertum“ suchen.

Als Chef*in bist du nicht weisungsbefugt

Und als Chef*in nimmst du logischerweise von außen keine Anweisungen entgegen. Dein Kind ist nun quasi im Bestimmter*in – Modus und entsprechend schwer zu lenken. Wenn es so weit gekommen ist, ist ein „Nein“ zu halten wirklich kein Zuckerschlecken mehr. Zugegeben, das war es vorher auch nicht, aber nun ist eben noch eine stabilere Ebene (Bindungsverhalten) dazu (zu den Emotionen, die ja schon oft stark genug sind) dazu gekommen.

In die angemessene Bindung einladen:


An dieser Stelle sei die Lösung nur kurz angerissen: Wenn dein Kind Bestimme*in in eurer Beziehungsdynamik geworden ist, lohnt es sich, dies wieder umzukehren. Denn du möchtest, dass dein Kind sich bei dir geborgen und sicher fühlt. Dazu musst du aber auch in die Verantwortung für eure Beziehung gehen. Wenn du die Dynamik umdrehen möchtest, brauchst du Geduld,aber es wird sich lohnen, da dein Kind für dich einfacher zu begleiten ist, wenn du in deine fürsorgliche Elternrolle kommst.

In kleinen Schritten lädst du dein Kind zur Abhängigkeit ein. Beginnst zunächst kleinere Neins wieder zu halten und liebevoll durch Gefühle zu begleiten. Damit schaffst du eine gute Basis, um mittelfristig wieder der sichere Hafen für dein Kind zu werden.

Was sind deine Gedanken dazu?

Ich bin so sehr gespannt, zu hören, was deine Gedanken und deine Erfahrungen zum Thema „Nein“ und „Grenzen“ sind. Mir ist bewußt, dass das Thema sich für dich vielleicht ganz anders anfühlt. Deswegen freu ich mich, dazu von dir zu lesen. Falls du Fragen, Anmerkungen, Kritik oder positives Feedback hast, freu ich mich auch, in den Kommentaren von dir zu lesen.

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